KLG&‎P Newsletter 2/2016

VADEMECUM der ärztlichen Aufklärungspflicht gegenüber Patienten

Vorbemerkungen

Dieses Vademecum soll den Benützern (Ärzte, Zahn- und Tierärzte, Chiropraktiker und Apothekern einen Kurzabriss über die wichtigsten Punkte der medizinischen Aufklärungspflicht bieten. Es entbindet aber die Medizinalperson nicht, im Einzelfall Gesetz und Literatur oder einen Fachmann zu konsultieren. Die Ausführungen basieren auf dem heute geltenden Recht, beanspruchen aber nicht das Attribut der Vollständigkeit. Allfällige Rechtsänderungen bleiben vorbehalten. Für verbindliche Abklärungen in einem individuellen Fall stehen wir gerne zur Verfügung.

Nachfolgend werden Arzt, Zahn- und Tierarzt, Chiropraktiker und Apotheker der Einfachheit halber „Arzt“ genannt. Es gibt allerdings bei den verschiedenen Medizinalkategorien leicht unterschiedliche Aspekte der Aufklärungspflicht; die nachfolgenden Ausführungen treffen aber für alle zu.

Ebenfalls werden nachfolgend Eingriffe, Operationen und Behandlungen vielfach allgemein „Behandlungen“ genannt. Bei spezifischen Tätigkeiten wird aber zwischen Operationen und Behandlungen etc. unterschieden.

1. Grundsatz

Jeder Eingriff in körperliche Integrität des Patienten ohne dessen Einwilligung ist rechtswidrig und strafrechtlich relevant (Körperverletzung). 1

Die Einwilligung des Patienten oder seines Vertreters setzt eine entsprechende Aufklärung voraus; der Arzt ist Fachmann.

Der Arzt ist beweispflichtig über korrekt getätigte Aufklärung.

2. Aufklärungspflichtiger

Grundsätzlich sind alle, gemäss Art. 1 des Medizinalberufsgesetzes (MedBG) unterstellten Fachpersonen im Bereich der Humanmedizin, der Zahnmedizin, der Chiropraktik, der Pharmazie und der Veterinärmedizin gegenüber ihren Patienten aufklärungspflichtig. 2

3. Inhalt der Aufklärung

 Der Patient muss vor dem Eingriff bzw. der Behandlung über alle wesentlichen Umstände der bevorstehenden, geplanten Behandlung umfassend aufgeklärt werden.

Eine solche Aufklärung umfasst namentlich:

  • Grund für die Behandlung und deren Zweck
    Der Arzt hat dem Patienten den medizinischen Grund des Eingriffs bzw. der Behandlung aufzuzeigen und darzulegen, weshalb dies notwendig und sinnvoll ist. Der Arzt muss dem Patienten auch erklären, was für eine Diagnose diesem geplanten Eingriff zu Grund liegt. Durch das Aufklärungsgespräch muss dem Patienten klar sein, was für ein Ziel mit der Behandlung bezweckt wird und welchen Nutzen für ihn eine solche Behandlung haben kann.

  • Durchführungsart der Behandlung
    Dem Patienten muss verständlich aufgezeigt werden, was für eine Behandlung durchgeführt wird und er muss auch über allfällige Behandlungsetappen informiert und im Klaren sein. Vor allem bei Operationen empfiehlt sich das Aufzeigen des genauen Ablaufes mit bildlicher Darstellung.

  • Behandlungsrisiko
    Mit Ausnahme von alltäglichen Massnahmen, welche keine besondere Gefahr und vor allem keine länger dauernden Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität nach sich ziehen können, ist der Arzt verpflichtet, bei jeder Behandlung dem Patienten die Risiken und möglichen Nebenwirkungen, welche die vorgesehene Behandlungsmethode in sich bergen kann, offen aufzuzeigen. 3
    Dabei hat der Arzt auf die psychische Verfassung des Patienten Rücksicht zu nehmen und darf einen entsprechend gefährdeten Patienten nicht in einen zusätzlich schädigenden Angstzustand versetzen.
    Entscheidend bei solchen Aufklärungen ist immer das Aufklärungsbedürfnis des Patienten, die Eintretenswahrscheinlichkeit der entsprechenden Risiken sowie der Schweregrad möglicher Behandlungsfolgen. Es versteht sich von selbst, dass ein Arzt bei Operationen, welche ein grosses Risiko beinhalten und welche schwerwiegende Folgen haben können, den Patienten ausführlicher aufklären muss als bei einem normalerweise unproblematischen Eingriff.

  • Information über Verhaltensregeln des Patienten
    Mittels sogenannter Sicherungsaufklärung soll der Patient durch gezielte Information über seinen Zustand, über die Wirkungsweisen von Medikamenten sowie über den (möglichen) Verlauf von Heilungsprozessen zu einem möglichst therapiegerechten Verhalten veranlasst werden. 4

  • Kosten der Behandlung
    Dem Arzt obliegt auch eine sogenannte „wirtschaftlich-pekuniäre“ Aufklärungspflicht. Er muss den Patienten immer dann, wenn er weiss, dass die Behandlung von der Krankenkasse nicht gedeckt ist (dies dürfte bei Zahn- und Tierärzten die Regel sein) oder wenn er Zweifel hegt, über die entstehenden Kosten vor der Behandlung aufklären. 5

  • Konsequenzen bei Nichtbehandlung
    Der Arzt muss dem Patienten aufzeigen, welche Folgen eintreten können, wenn der Patient auf die Behandlung verzichtet. Auch bei dieser Informationspflicht gilt es allerdings, auf die psychische Verfassung eines Patienten Rücksicht zu nehmen und sogenannte schädigende Angstzustandssituationen zu verhindern.

  • Behandlungsalternativen
    Der Arzt hat dem Patienten über mögliche Alternativen zur vorgeschlagenen Behandlung zu informieren, selbst wenn er diese nicht selber anbietet. Er hat dabei dem Patienten möglichst objektiv die einzelnen Vor- und Nachteile solcher Alternativen aufzuzeigen. 6

4. Form der Aufklärung

 Grundsätzlich kann eine Aufklärung formlos - also auch mündlich - geschehen. Wichtigstes Element bei der Aufklärung ist die Verständlichkeit für den Patienten. Ein gleicher Sachverhalt muss also, je nach Intellekt und sprachlicher Fähigkeit, bei verschiedenen Patienten auch verschieden dargelegt werden.

Für eine richtige und umfassende, aber auch vom Patienten verstandene Aufklärung ist der Arzt jedoch beweispflichtig. Daher empfiehlt sich in der Regel eine schriftliche Form der Aufklärung. Beim Beizug eines Übersetzers ist eine entsprechende Einwilligung des Patienten notwendig (ärztliche Schweigepflicht). 7

5. Zeitpunkt der Aufklärung

Es gibt keine exakte Vorgabe, wann eine Aufklärung vorgenommen werden muss. Es haben sich mit der Zeit aber gewisse Regeln durchgesetzt, welche man auch als „Richtlinie“ oder „Faustregel“ bezeichnen kann.

Es sind dies:

  • Bei risikobehafteten, schwerwiegenden Eingriffen muss die Aufklärung mindestens 3 -5 Tage vor dem Eingriff erfolgen, sodass der Patient noch genügend Zeit hat, um sich in Ruhe die Entscheidung zu überlegen.
  • Bei den übrigen, sogenannten Routine-und Alltagseingriffen genügt in der Regel eine Aufklärung mindestens ein Tag vor dem Eingriff. 8

Bei sehr risikoarmen und ambulanten Eingriffen kann aber durchaus auch eine Aufklärung am Tage des Eingriffes (aber selbstverständlich vor dem Eingriff) noch ausreichend sein.

Bei Notfallbehandlungen und unaufschiebbaren Eingriffen muss natürlich auf eine Bedenkfrist des Patienten verzichtet werden.

6. Verletzung der Aufklärungspflicht und deren Folgen

  • Keine rechtsgenügliche Einwilligung / Rechtliche Konsequenzen
    Eine ungenügende, mangelhafte Aufklärungspflicht bewirkt, dass der Patient nicht rechtsgenüglich in die Behandlung eingewilligt hat. Daher muss in solchen Fällen unter Umständen von einer Körperverletzung ausgegangen werden, mit all den straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen.

  • Beweislastumkehr
    Grundsätzlich ist das Vorliegen eines Behandlungsfehlers vom Patienten zu beweisen, was in der Regel ein überaus schweres Unterfangen ist. Eine mangelhafte Aufklärung führt allerdings zu einer Beweislastumkehr für mögliche Fehlbehandlungen bzw. Schäden. Das bedeutet, dass bei nicht erfolgter und mangelhafter Aufklärung der Arzt beweisen muss, dass er richtig, vollständig und verständlich aufgeklärt hat, was ebenfalls nicht immer sehr einfach ist. Und diese Beweislastumkehr hat wiederum eine für den Patienten bei Behandlungsfehlern sehr positive Zusatzwirkung:


    Während bei normaler, rechtsgenüglicher Aufklärung der Arzt nur für Schaden aufkommen muss, welcher durch einen ausgewiesenen Behandlungsfehler entstanden ist, haftet der Arzt bei Nicht- oder mangelhafter Aufklärung für sämtlichen Schaden, unbesehen, ob ihm ein Behandlungsfehler vorzuwerfen ist oder nicht. 9

Fazit

Grundsätzlich dient die Aufklärungspflicht und mithin auch die Protokollierungs- und Dokumentationspflicht der Sicherstellung einer korrekten Behandlung.

Es muss allerdings klar festgestellt werden, dass die Bereitschaft der Patienten, gegen ihren Arzt prozessual vorzugehen, in letzter Zeit massiv grösser geworden ist und dabei wird auch immer mehr nach einem möglichen Manko bei der Aufklärung gesucht.

Eine gute, zweckmässige und individuelle Aufklärung des Patienten vor einer grösseren Behandlung oder einem Eingriff und eine saubere Dokumentation sind daher auch im Hinblick auf Beweisfragen von grosser Relevanz und können den Arzt vor unliebsamen Konsequenzen verschonen.

Der gesunde Mittelweg zwischen allzu bürokratischer Verpflichtung des Patienten und einer doch im Hinblick auf die Beweislast umfassenden Aufklärung ist anzustreben, aber nicht immer leicht zu finden. Auch die Praktikabilität unter dem Gesichtspunkt der vorgesehenen, medizinischen Behandlung darf und soll nicht ausser Acht gelassen werden.

Eine Berücksichtigung der Ausführungen in diesem Vademecum kann zwar eine juristische Auseinandersetzung nach der Behandlung nicht verhindern, stärkt aber doch die Ausgangslage des Arztes.

RA lic. iur. Alois Kessler
  1. BGE 117 Ib 197 ff.
  2. CLAUDIA FINK, Aufklärungspflicht von Medizinalpersonen (Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker), Bern 2008, S. 5
  3. BGE 117 Ib 197 A. 3b
  4. Broschüre des Schweizerischen Versicherungsverbandes „Aufklärungspflicht bei medizinischer Behandlung“ (www.svv.ch)
  5. Die Praxis des Schweizerischen Bundesgerichtes, 84, Nr. 72, E. 2d
  6. WALTER FELLMANN, in : MORITZ KUHN/THOMAS POLEDNA (Hrsg), Arztrecht in der Praxis, 2. Auflage, 2007, S. 177
  7. WALTER FELLMANN, in : MORITZ KUHN/THOMAS POLEDNA (Hrsg), Arztrecht in der Praxis, 2. Auflage, 2007, S. 195 f
  8. WALTER FELLMANN, in : MORITZ KUHN/THOMAS POLEDNA (Hrsg), Arztrecht in der Praxis, 2. Auflage, 2007, S. 201
  9. CLAUDIA FINK, Aufklärungspflicht von Medizinalpersonen (Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker), Bern 2008, S. 276